Praxisnahe Tipps zur Einnahmen-Überschussrechnung (EÜR) 2022

Die Vorschrift des § 4 Abs. 3 EStG ist lediglich eine Kannvorschrift und steht daher einer freiwilligen Vollbuchführung nicht entgegen. Wer freiwillig Bücher führt, ist allerdings auch verpflichtet, seinen Gewinn durch einen Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln. Es muss dann eine Bilanz erstellt werden.

Wer darf seinen Gewinn durch eine EÜR ermitteln?

Freiberufler (wie z. B. Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, freischaffende Künstler) sind grundsätzlich nicht zur Buchführung verpflichtet. Es gelten auch keine Schwellenwerte, die zu einer Buchführungspflicht führen können. Sie können ihren Gewinn daher generell durch eine EÜR ermitteln.

Kaufleute sind hingegen nach Handelsrecht und anderen Bestimmungen immer verpflichtet, Bücher zu führen und hieraus zum Jahresende eine Bilanz und eine Gewinn- und Verlustrechnung zu entwickeln. Kaufleute können ihren Gewinn daher nicht durch eine EÜR ermitteln (sog. abgeleitete Buchführungspflicht). Das gilt für alle, deren Gewerbe nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (Handelsgewerbe) oder deren Unternehmen im Handelsregister eingetragen ist.

Gewerbliche Unternehmer, die keine Kaufleute im handelsrechtlichen Sinne sind (wie z. B. Kleingewerbetreibende oder selbständige Handelsvertreter), sind nicht buchführungspflichtig, sofern ihr Umsatz und ihr Gewinn unterhalb der Buchführungsgrenzen liegen. Die Gewinn- und die Umsatzgrenzen beziehen sich auf den jeweils einzelnen Betrieb des Steuerpflichtigen.

Für 2022 (und auch die Folgejahre) gelten die folgenden Betragsgrenzen für die Buchführungspflicht:

Umsatzgrenze: 600.000 €

Gewinngrenze: 60.000 €

Werden beide Grenzen nicht überschritten, kann der Gewinn durch eine EÜR ermittelt werden.

Tipp: Die Buchführungspflicht beginnt erst, nachdem das Finanzamt den Steuerpflichtigen ausdrücklich schriftlich auf den Beginn der Buchführungspflicht hingewiesen hat.

Elektronische Übermittlung unter Verwendung eines Zertifikats ist Pflicht

Der amtlich vorgeschriebene Vordruck "Anlage EÜR" muss elektronisch authentifiziert an das Finanzamt gesendet werden. Hierfür ist ein Zertifikat notwendig. Bei der erstmaligen Beantragung eines Zertifikats ist zu beachten, dass die Erteilung bis zu zwei Wochen dauern kann.

Dies gilt auch bei Betriebseinnahmen von weniger als 17.500 € im Jahr. Nur in Härtefällen (z. B. bei fehlender Internetanbindung) ist bei geringen Einnahmen auf Antrag eine Ausnahme möglich. Dann ist der amtliche Vordruck ‘Anlage EÜR‘ in Papierform einzureichen. Eine formlose Übersicht reicht nicht aus.

Tipp: Wer bereits über ein Elster-Zertifikat verfügt (z. B. zur Übertragung von Umsatzsteuer-Voranmeldungen, Lohnsteuer-Anmeldungen, Lohnsteuer-Bescheinigungen), kann dieses Zertifikat auch für die Übermittlung der "Anlage EÜR" nutzen.

Für jeden Betrieb ist eine separate EÜR zu übermitteln.

Hinweise zu ausgewählten Positionen der Anlage EÜR 2022

  • Betriebseinnahmen (Zeilen 11 bis 22)

Betriebseinnahmen sind grundsätzlich im Zeitpunkt des Zuflusses zu erfassen.

Umsatzsteuerliche Kleinunternehmer müssen ihre Betriebseinnahmen mit dem Bruttobetrag eintragen. Dazu gehören auch erhaltene Hilfen und Zuschüsse aufgrund der Corona-Pandemie.

Eine innerhalb von zehn Tagen nach Beginn des Kalenderjahrs fällig gewordene und zugeflossene Umsatzsteuer-Erstattung für einen Voranmeldungszeitraum des Vorjahrs ist als regelmäßig wiederkehrende Einnahme im Vorjahr als Betriebseinnahme zu berücksichtigen.

Bei Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (z. B. Maschinen, Kfz) ist der Erlös jeweils ohne Umsatzsteuer einzutragen. Pauschalierende Land- und Forstwirte tragen hier die Bruttowerte ein.

Bei Entnahmen ist in der Regel der Teilwert anzusetzen. Teilwert ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde. Dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt.

  • Betriebsausgaben (Zeilen 23 bis 88)

Betriebsausgaben sind grundsätzlich im Zeitpunkt des Abflusses zu erfassen.

Die Anschaffungs-/Herstellungskosten für bestimmte Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens (vor allem Anteile an Kapitalgesellschaften, Wertpapiere, Grund und Boden, Gebäude) sind erst im Zeitpunkt des Zuflusses des Veräußerungserlöses/der Entnahme aus dem Betriebsvermögen als Betriebsausgabe zu erfassen.

Bei gemischten Aufwendungen ist ausschließlich der betrieblich/beruflich veranlasste Anteil anzusetzen (z. B. bei Telekommunikationsaufwendungen).

Die Betriebsausgaben sind grundsätzlich mit dem Nettobetrag anzusetzen. Die abziehbaren Vorsteuerbeträge sind gesondert in Zeile 63 einzutragen. Kleinunternehmer geben den Bruttobetrag an.

  • Absetzung für Abnutzung – AfA (Zeilen 29 bis 45)

Die Anschaffungs-/Herstellungskosten von selbständigen, abnutzbaren Wirtschaftsgütern sind grundsätzlich im Wege der AfA über die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer zu verteilen.

Wirtschaftsgüter sind abnutzbar, wenn sich deren Nutzbarkeit infolge wirtschaftlichen oder technischen Wertverzehrs erfahrungsgemäß auf einen beschränkten Zeitraum erstreckt. Grund und Boden gehört zu den nicht abnutzbaren Wirtschaftgütern.

Bei beweglichen Wirtschaftsgütern können neben der Abschreibung nach § 7 Abs. 1 oder 2 EStG im Jahr der Anschaffung/Herstellung und in den vier folgenden Jahren Sonderabschreibungen nach § 7g Abs. 5 EStG bis zu insgesamt 20 % der Anschaffungs-/Herstellungskosten in Anspruch genommen werden.

Tipp: Die Sonderabschreibungen können nur in Anspruch genommen werden, wenn im Wirtschaftsjahr vor Anschaffung oder Herstellung der Gewinn ohne Berücksichtigung von Investitionsabzugsbeträgen 200.000 € nicht überschreitet. Darüber hinaus muss das Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung oder Herstellung und im darauf folgenden Wirtschaftsjahr vermietet oder in einer inländischen Betriebsstätte des Betriebs ausschließlich oder fast ausschließlich (mindestens zu 90 %) betrieblich genutzt werden.

Nach § 6 Abs. 2 EStG können die Anschaffungs-/Herstellungskosten bzw. der Einlagewert von abnutzbaren, beweglichen und einer selbständigen Nutzung fähigen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens in voller Höhe als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn die um einen enthaltenen Vorsteuerbetrag verminderten Anschaffungs-/Herstellungskosten bzw. deren Einlagewert für das einzelne Wirtschaftsgut 800 € nicht übersteigen (GWG).

Für abnutzbare, bewegliche und selbständig nutzungsfähige Wirtschaftsgüter, deren Anschaffungs-/Herstellungskosten bzw. deren Einlagewert 250 €, aber nicht 1.000 € übersteigen, kann nach § 6 Abs. 2a EStG im Wirtschaftsjahr der Anschaffung/Herstellung oder Einlage auch ein Sammelposten gebildet werden. Dieses Wahlrecht kann nur einheitlich für alle im Wirtschaftsjahr angeschafften/hergestellen bzw. eingelegten Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen werden. Im Fall der Bildung eines Sammelpostens können daher im Wirtschaftsjahr lediglich die Aufwendungen für Wirtschaftsgüter mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten bis 250 € als GWG berücksichtigt werden. Bei Anschaffungs- oder Herstellungskosten von über 1.000 € sind die Aufwendungen über die voraussichtliche Nutzungsdauer zu verteilen.

  • Schuldzinsen zur Finanzierung von Anschaffungs- und Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (Zeile 61)

Schuldzinsen für gesondert aufgenommene Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs-/Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens unterliegen – anders als die übrigen Schuldzinsen – nicht der Abzugsbeschränkung nach § 4 Abs. 4a EStG. Sie sind unbegrenzt abzugsfähig.

  • Übrige Schuldzinsen (Zeile 62)

Die übrigen Schuldzinsen sind nur bis zu einem Betrag von 2.050 € unbeschränkt abziehbar. Darüber hinaus sind sie nach § 4 Abs. 4a EStG nur beschränkt abziehbar, wenn sog. Überentnahmen getätigt wurden.

Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe aus Gewinn und Einlagen des Gewinnermittlungszeitraumes unter Berücksichtigung der Vorjahreswerte übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden dabei mit 6 % der kumulierten Überentnahmen, höchstens mit 6 % des kumulierten Entnahmenüberschusses, ermittelt.

  • Geschenke (Zeile 67)

Aufwendungen für Geschenke an Personen, die nicht Arbeinehmer sind (z. B. an Geschäftspartner), und die ggf. darauf entfallende Pauschalsteuer nach § 37b EStG, sind nur dann abzugsfähig, wenn die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der dem Empfänger im Gewinnermittlungszeitraum zugewendeten Gegenstände 35 € nicht übersteigen.

Die Aufwendungen dürfen nur berücksichtigt werden, wenn aus dem Beleg oder den Aufzeichnungen der Geschenkempfänger zu ersehen ist.

Tipp: Wenn im Hinblick auf die Art des zugewendeten Gegenstandes (z. B. Taschenkalender, Kugelschreiber) die Vermutung besteht, dass die Freigrenze von 35 € bei dem einzelnen Empfänger im Gewinnermittlungszeitraum nicht überschritten wird, ist eine Angabe der Namen der Empfänger nicht erforderlich.

  • Bewirtungsaufwendungen (Zeile 68)

Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass sind zu 70 % abziehbar und zu 30 % nicht abziehbar. Die hierauf entfallende Vorsteuer ist allerdings abziehbar, soweit die Aufwendungen angemessen und nachgewiesen sind.

Abziehbar zu 70 % sind nur Aufwendungen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen und deren Höhe und betriebliche Veranlassung nachgewiesen sind. Zum Nachweis der Höhe und der betrieblichen Veranlassung sind schriftlich Angaben zu Ort, Tag, Teilnehmer und Anlass der Bewirtung sowie zur Höhe der Aufwendungen zu machen.

Tipp: Bei Bewirtung in einer Gaststätte genügen Angaben zu dem Anlass und den Teilnehmern der Bewirtung. Die Rechnung über die Bewirtung ist beizufügen. Es werden grundsätzlich nur maschinell erstellte und maschinell registrierte Rechnungen anerkannt.

  • Ermittlung des Gewinns (Zeilen 89 bis 109)

Folgende bereits in den Betriebseinnahmen enthaltene steuerfreie Einnahmen sind abzuziehen:

  • für bestimmte nebenberufliche Tätigkeiten nach § 3 Nr. 26 EStG maximal 3.000 € (Übungsleiterfreibetrag),
  • für andere nebenberufliche Tätigkeiten z. B. im gemeinnützigen Bereich nach § 3 Nr. 26a EStG maximal 840 € (Ehrenamtspauschale) und
  • für Aufwandsentschädigungen an ehrenamtliche Betreuer nach § 3 Nr. 26b EStG maximal 3.000 €.

Die nach § 3 Nr. 26 EStG (Übungsleiterfreibetrag) und § 3 Nr. 26b EStG (Ehrenamtspauschale) steuerfreien Einnahmen dürfen zusammen den Betrag von 3.000 € nicht überschreiten.

Die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 26a EStG (Übungsleiterfreibetrag) ist ausgeschlossen, wenn für die Einnahmen aus der Tätigkeit – ganz oder teilweise – eine Steuerbefreiung nach anderen Vorschriften gewährt wird.

  • Rücklagen und stille Reserven (Zeilen 121 bis 124)

Bei der Veräußerung von Anlagevermögen ist der Erlös als Einnahme zu erfassen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, bei bestimmten Wirtschaftsgütern (z. B. Grund und Boden, Gebäude, Aufwuchs) den entstehenden Veräußerungsgewinn (sog. stille Reserven) von den Anschaffungs-/Herstellungskosten angeschaffter oder hergestellter Wirtschaftsgüter (sog. Reinvestitionswirtschaftsgüter) abzuziehen.

Soweit dieser Abzug nicht im Wirtschaftsjahr der Veräußerung vorgenommen wird, kann der Veräußerungsgewinn in eine steuerfreie Rücklage eingestellt werden, die als Betriebsausgabe behandelt wird. Das Reinvestitionswirtschaftsgut muss innerhalb von vier Wirtschaftsjahren nach der Veräußerung angeschafft oder hergestellt werden. Bei neu hergestellten Gebäuden verlängert sich die Frist auf sechs Wirtschaftsjahre, wenn mit ihrer Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahrs begonnen worden ist.

Die Fristen des § 6b EStG verlängern sich jeweils um drei Jahre, wenn die Rücklage regulär am Schluss des nach dem 29. Februar 2020 und vor dem 1. Januar 2021 endenden Wirtschaftsjahrs aufzulösen wäre. Sie verlängern sich jeweils um zwei Jahre, wenn die Rücklage regulär am Schluss des nach dem 31. Dezember 2020 und vor dem 1. Januar 2022 endenden Wirtschaftsjahrs aufzulösen wäre. Sie verlängern sich jeweils um ein Jahr, wenn die Rücklage regulär am Schluss des nach dem 31. Dezember 2021 und vor dem 1. Januar 2023 endenden Wirtschaftsjahrs aufzulösen wäre.

  • Entnahmen und Einlagen (Zeilen 125 und 126)

Entnahmen und Einlagen sind unabhängig vom Vorliegen von Schuldzinsen einzutragen. Dazu zählen nicht nur die durch die private Nutzung betrieblicher Wirtschaftsgüter oder Leistungen entstandenen Entnahmen, sondern auch die Geldentnahmen und -einlagen (z. B. privat veranlasste Geldabhebung vom betrieblichen Bankkonto oder Auszahlung aus der Kasse).

Tipp: Sofern kein gesondertes betriebliches Konto besteht, stellen sämtliche Betriebseinnahmen auch Entnahmen und sämtliche Betriebsausgaben auch Einlagen dar.

Entnahmen und Einlagen, die nicht in Geld bestehen, sind grundsätzlich mit dem Teilwert – ggf. zuzüglich Umsatzsteuer – anzusetzen